Die Stadtwerke Bochum weisen in ihrem Strommix 74,4% Ökostrom aus. Dabei befolgen sie die aktuellen gesetzlichen Vorgaben zur Stromkennzeichnung (1). In unserem Infomaterial und auf unserer Unterschriftenliste verwenden wir Zahlen, die deutlich von diesen 74,4% abweichen. Das liegt daran, dass wir eine andere Berechnungsgrundlage verwenden, in der wir bestimmte Ökostromanteile nicht miteinbeziehen. Diese Anteile wollen wir im Folgenden genauer darstellen.

Die EEG-Umlage und danach geförderte Anlagen

Wenn eine Anlage in Deutschland Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, hat der Stromerzeuger die Wahl, diesen Strom selbst direkt als Ökostrom zu verkaufen oder die Anlage für eine bestimmte Zeit über das EEG fördern zu lassen. Falls er sich für die Förderung durch das EEG entscheidet, darf er den Strom nicht mehr an der Strombörse verkaufen. Allerdings erhält er für seinen Strom dann einen Festpreis, der in der Regel höher ist als der aktuelle Preis an der Strombörse. Die Übertragungsnetzbetreiber sind gesetzlich verpflichtet, vorranging Strom aus erneuerbaren Energien einzukaufen. Durch den höheren Festpreis dieses EEG-geförderten Stroms entstehen den Übertragungsnetzbetreibern Mehrkosten. Diese Kosten werden zunächst an die lokalen Stromversorger wie die Stadtwerke Bochum weitergereicht und durch deren Kund:innen in Form der EEG-Umlage bezahlt. Um den Kund:innen darzustellen, dass dieses Geld verwendet wird, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern, sind die Energieversorger gesetzlich verpflichtet einen Anteil „Erneuerbare Energien gefördert durch das EEG“ in ihrem Strommix ausweisen. Dieser Anteil ist allerdings unabhängig davon welchen Strom die Energieversorger wirklich einkaufen oder liefern. Energieversorgungsunternehmen, die ausschließlich Strom aus fossilen Energien liefern, müssen den gleichen Anteil an „Erneuerbaren Energien gefördert durch das EEG“ im Strommix ausweisen wie Unternehmen, die 100% Ökostrom liefern1,2.

Der Anteil „Erneuerbare Energien gefördert durch das EEG“ soll also den Stromkund:innen darstellen, dass sie durch die Zahlung der EEG-Umlage an der deutschlandweiten Förderung der Energiewende beteiligt werden. Das ist auch zunächst richtig, denn die EEG-Umlage wird verwendet, um Erzeugern erneuerbarer Energien höhere Gewinne zu ermöglichen und ist somit ein Anreiz weiter auszubauen. Allerdings spiegelt dieser Anteil nicht wider, was die Stadtwerke Bochum selbst für die Energiewende tun. Daher fordern wir mit unserem Einwohnerantrag erneuerbaren Strom, der direkt von erneuerbaren Erzeugern eingekauft, von den Stadtwerken selbst, oder durch Mieterstrommodelle produziert wird. Wird der Anteil der erneuerbaren Energien gefördert nach dem EEG aus dem aktuellen Strommix herausgerechnet2, bleibt noch ein Ökostromanteil von 37,8%. Diese Darstellung ist auch auf unserer Unterschriftenliste zu finden.

Übrigens: Aktuell werden 95% der deutschen Ökostromanlagen durch das EEG gefördert, deren Strom somit nicht an der Strombörse erhältlich ist. Für die ersten Anlagen läuft allerdings noch 2021 die Förderung aus und der Ökostrom kann auf dem Markt erworben werden.


Grey-Green Swaps

Entscheidet man sich als Kund:in der Stadtwerke Bochum für einen Ökostromtarif, kaufen die Stadtwerke dafür Ökostrom aus Norwegen ein. Dieser wird als sogenannte Grey-Green Swaps eingekauft. Dabei wird Ökostrom aus norwegischen Wasserkraftwerken über lange Stromleitungen ins deutsche Netz eingespeist. Er kommt also tatsächlich in Deutschland an

Wie funktioniert das?

Strom fließt in verschiedenen Leitungen durch Deutschland. Die Gesamtheit dieser Leitungen wird auch als deutsches Stromnetz bezeichnet. Dieses Stromnetz ist allerdings nicht isoliert von den Stromnetzen unserer europäischen Nachbarn, sondern über und unter Land mit den Netzen der anderen Länder verbunden und bildet gemeinsam mit diesen das europäische Stromnetz. Dies ist vergleichbar mit einem großen See, der aus verschiedenen Quellen gespeist wird. Sämtlicher Strom, der in europäischen Ländern produziert wird, also zum Beispiel der norwegische Ökostrom aber auch der in Deutschland produzierte Strom aus fossilen Brennstoffen, kommt in diesem europäischen „Stromsee“ zusammen. Durch Grey-Green Swaps wechselt der Ökostrom zwar das Ufer und kommt real in Deutschland an, gleichzeitig kann aber, bei Bedarf, deutscher Graustrom an das norwegische Ufer verschoben werden. In diesem Fall wäre es weiterhin notwendig, deutschen Graustrom in den Stromsee einzuleiten.

Übersteigt der norwegische Strombedarf die Kapazitäten der norwegischen Stromerzeugung, fließt Graustrom von Deutschland nach Norwegen. In den letzten Jahren war Norwegen durchgängig Stromexporteur1, daher ist aktuell die Lieferung von deutschem Graustrom nicht nötig. Die Lieferung des norwegischen Ökostroms ist durch die Grey-Green Swaps jedoch nicht komplett unabhängig von deutschem Graustrom. Es ist also nicht auszuschließen, dass Graustrom in Zukunft nach Norwegen fließen könnte.

In unserem Einwohnerantrag fordern wir daher Ökostrom, der komplett ohne das (potenzielle) Einleiten von Graustrom in den Stromsee auskommt und somit die Produktion von Strom aus fossilen Brennstoffen unnötig macht. Wir begrüßen zwar den physischen Einkauf des norwegischen Ökostroms sehr und sind der Meinung, dass die Energiewende eine gesamteuropäische Aufgabe ist. Gleichzeitig sehen wir es allerdings kritisch, dass potenziell deutscher Graustrom nach Norwegen fließen könnte und somit der eingekaufte norwegische Ökostromnicht komplett unabhängig vom deutschem Graustrom ist, der zum großen Teil aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird. Aus diesem Grund sehen wir die Grey-Green Swaps nur als eine Übergangslösung für die kurzfristige und schnelle Erhöhung des deutschen Ökostromanteils an. Langfristig ist es aber nötig, die lokalen Potenziale zu nutzen und den Ausbau der erneuerbaren Energien somit auch in Deutschland zu beschleunigen. Aus diesem Grund berechnen wir die Grey-Green Swaps bei unseren Darstellungen des aktuellen Ökostromanteils, der unseren Forderungen entspricht, nicht mit ein.  

Wir beziehen in unserer Darstellung also den Ökostrom ein, den die Stadtwerke selbst produzieren, aber nicht die Erneuerbaren Energien gefördert durch das EEG und die Grey-Green Swaps. Nach dieser Rechnung liegt der Ökostromanteil dann bei 15%. Diese Darstellung findet ihr auch auf unserem Flyer.


Herkunftsnachweise

Ein Herkunftsnachweis ist ein Zertifikat darüber, dass eine MWh Strom aus erneuerbaren Quellen, wie zum Beispiel in einem Wasserkraftwerk, gewonnen wurde. Ein Herkunftsnachweis ist wie ein Etikett, für eine MWh Strom, die diesen Strom als Ökostrom ausweist. Der Stromerzeuger hat nun die Wahl, seinen Strom gemeinsam mit diesem Herkunftsnachweis als Ökostrom zu verkaufen (Direktstromliefervertrag), oder nur den Herkunftsnachweis, ohne den dazugehörigen Strom. Durch Letzteres verliert der Strom des Erzeugers sein Etikett als Ökostrom, das auf den Käufer übergeht und diesen berechtigt seinen Strom als Ökostrom ausweisen, unabhängig davon aus welchen Quellen dieser Strom wirklich stammt. Somit kann auch Strom, der ursprünglich aus fossilen Energien stammt, durch den Kauf von Herkunftsnachweisen als Ökostrom ausgewiesen werden. Der Stromlieferant darf seinen eigentlich ökologisch erzeugten Strom dann nicht mehr als Ökostrom ausweisen.

Wie wirken sich diese Herkunftsnachweise ohne Direktstromlieferverträge, also reiner Zertifikatshandel, auf den europäischen Stromsee aus? Deutschland würde Graustrom in den Stromsee einleiten, während ein anderes Land Ökostrom in den Stromsee speist. Durch den Kauf der Herkunftsnachweise verschiebt sich dann nur, wer auf dem Papier den Graustrom eingeleitet hat. Das Verhältnis der Energieformen im Stromsee selbst ändert sich jedoch nicht.

Herkunftsnachweise bescheinigen also, dass Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wurde. Reiner Zertifikatshandel, also der Kauf von Herkunftsnachweisen ohne den dazugehörigen Strom, bringt die Energiewende in Deutschland und Europa nicht voran, da der physische Stromeinkauf der deutschen Stromunternehmen dadurch nicht weniger fossile Brennstoffe enthält.

Daher fordern wir in unserem Einwohnerantrag Strom, der nicht nur durch Herkunftsnachweise ein grünes Etikett erhält, sondern direkt aus erneuerbaren Anlagen wie Solaranlagen, Biogasanlagen, Windparks oder Wasserkraftwerken bezogen wird.

Quellen und weitere Informationen

(2) https://www.lichtblick.de/presse/stromkennzeichnung abgerufen am 24.06.2021

(3) https://www.iwr-institut.de/de/presse/presseinfos-energiewende/erneuerbare-energien-werden-subventioniert-staat-zahlt-keinen-cent

(4) https://www.netztransparenz.de/EEG/EEG-Umlagen-Uebersicht

(5) https://www.lichtblick.de/presse/deutschlands-dreckige-stromanbieter

(6) https://www.theglobaleconomy.com/Norway/electricity_exports/ Abgerufen am 16.06.2021

(7) https://energifaktanorge.no/en/norsk-energiforsyning/kraftproduksjon/ abgerufen am 04.04.2021

(8) Antwort der Verwaltung vom 19.01.2021, abrufbar unter https://session.bochum.de/bi/vo0050.asp?__kvonr=7079599 abgerufen am 04.04.2021